Pressenachricht 09.08.2019: Bayern steckt in der Müll-Krise
Bayern steckt in der Müll-Krise
- Weil die Müllverbrennungsanlagen in Bayern voll sind, bekommen Firmen und Handwerken ihre Abfälle kaum mehr los.
- Der Preis für die Entsorgung einer Tonne hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt.
- Viele Entsorger haben lange darauf gesetzt, den Abfall nach Asien zu exportieren. Doch China und andere Länder haben begonnen, ihre Grenzen dicht zu machen.
Olaf Zimmermann hat ein Platzproblem. All die Pappen, das Plastik, das Styropor – wo soll das hin? Sein Heizungs- und Sanitärbetrieb sitzt mitten in München, im dicht bebauten Stadtteil Lehel, der Hinterhof ist eng, aber Müll fällt viel an bei Zimmermann. Immerhin, ein Kollege hat einen Lagerplatz angemietet, der hilft ihm gelegentlich aus, wie Zimmermann sagt. Manchmal muss er das Zeug in einem Container ein Vierteljahr lang zwischenlagern, bis es abgeholt wird. Seine Monteure schickt er deshalb von der Baustelle am liebsten direkt zur Entsorgungsfirma, in kleinen Mengen wird der Müll dort „leichter angenommen als ein Container“, hat er festgestellt. Denn auch die Entsorger haben das Problem: Sie werden den Abfall nicht los. Bayern hat ein Müllproblem, gerade in diesen Wochen.
Und das trifft vor allem die kleinen Gewerbebetriebe. Landauf, landab schimpfen Handwerker, vor allem Dachdecker und Spengler. „Die haben den ganzen Lagerplatz voller Styropor, das sie nicht losbekommen“, sagt Zimmermann. Auch als Obermeister der Innung Spengler, Sanitär- und Heizungstechnik bekommt er den Ärger der Kollegen mit. Und wenn sie den Abfall loswerden, dann nur für viel Geld. „Die Preise explodieren massiv“, sagt Zimmermann.
Oder drastischer formuliert: „Der Markt steht kurz vor dem Kollaps.“ Dieses Zitat hat Euwid, der wichtigste Informationsdienst der deutschen Entsorgungsbranche, seinem jüngsten Marktbericht vorangestellt. Er klingt alarmierend, insbesondere für Süddeutschland. In manchen Regionen sei die Lage „mitunter dramatisch“ – und zwar bei allem Müll, der nicht recycelt, sondern verbrannt wird, ob er nun aus Haushalten kommt oder aus Gewerbebetrieben. Deutschlands Müllverbrennungsanlagen sind alle randvoll. Und Pascal Hugo, der Autor des Marktberichts, sagt: „In Bayern ist es besonders eng.“
Der Müllmarkt ist ein komplizierter, entsprechend vielfältig sind die Ursachen. Da ist zum einen das Bevölkerungswachstum und die (noch) gut laufende Wirtschaft: Die Bayern konsumieren mehr, die Handwerker haben gut zu tun – so fällt viel Müll an. Noch liegen keine genauen Zahlen vor, aber das Landesamt für Umwelt (LfU) kann bereits sagen, dass das Restabfallaufkommen im vergangenen Jahr erneut leicht gestiegen ist.
14 Müllverbrennungsanlagen gibt es im Freistaat. Sie alle werden von Kommunen betrieben. Und Vorrang hat nach dem Gesetz stets die Entsorgung des Hausmülls, dafür sind schließlich die Kommunen zuständig. Diese Aufgabe „wird zuverlässig erledigt, ein Entsorgungsengpass ist hier nicht gegeben“, beteuert eine LfU-Sprecherin. Gewerbebetriebe hingegen müssen sich selbst um ihren Abfall kümmern, mithilfe privater Entsorgungsfirmen. Wer von denen längerfristige Verträge mit einer Verbrennungsanlage geschlossen hat, hat weniger Probleme als diejenigen, die kurzfristig auf freie Kapazitäten in den Öfen spekulieren. Seit Ende Mai nimmt zum Beispiel die Müllverbrennungsanlage Schwandorf Gewerbeabfall nur noch von Firmen an, mit denen sie einen Vertrag hat. Eine Folge: Die Entsorger zahlen laut Euwid in Bayern inzwischen bis zu 180 Euro je Tonne Restmüll, doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren. Bei diesen Preisen rechnet es sich für sie sogar, den Müll bis nach Skandinavien zu transportieren, damit er dort verbrannt wird. Dort müssen sie nur etwa ein Drittel zahlen.
Abfall ist ein internationales Geschäft, er wandert immer dorthin, wo es am billigsten ist. Und dahinter verbirgt sich eine weitere Ursache der bayerischen Krise: Viele Entsorger haben lange darauf gesetzt, ihn in Asien loswerden zu können. Doch vor zwei Jahren hat China damit begonnen, die Grenzen dicht zu machen, andere Länder folgen. Kann aber weniger exportiert werden, bleibt mehr im Land. Ein Dominoeffekt. Inzwischen häuften sich die Anfragen privater Entsorger, berichtet Günther Langer vom Abfallwirtschaftsbetrieb München, der am Nordrand der Landeshauptstadt die größte Müllverbrennungsanlage Bayerns betreibt. Gut 706 000 Tonnen Müll wurden dort im vergangenen Jahr verbrannt, mehr als ein Fünftel des Gesamtaufkommens in Bayern. Der Gewerbemüll machte davon beinahe ein Siebtel aus.
Die Betreiber der Müllverbrennungsanlagen sind nicht immer gut auf Industrie und Gewerbe zu sprechen: Er könne es nicht belegen, aber vielleicht sei es mit dem Recycling von Gewerbeabfällen doch nicht so weit her, „wie es die Industrie glauben machen will“, sagt Langer. Stimmt nicht, entgegnen andere – was getrennt werden könne, werde längst getrennt. „Die private Entsorgungswirtschaft hat sich verkalkuliert“, sagt wiederum Gerhard Meier mit Blick auf die Exportprobleme. Ende Februar ist er als Chef der Müllverbrennungsanlage Ingolstadt in Rente gegangen, sitzt aber weiter der Interessenvertretung der „Thermischen Abfallbehandlungsanlagen“ auf Landes- und Bundesebene vor.
Bei denen sind Gewerbeabfälle auch deswegen nicht so sonderlich beliebt, weil sie zunehmend aus Kunststoffen bestehen. Die brennen einfach zu gut. Denn die Öfen sind auf einen bestimmten Heizwert ausgelegt, der sich an normalem Hausmüll orientiert. Bei Kunststoffen liegt er oft um ein Mehrfaches höher – dann aber kann insgesamt weniger Müll in den Ofen geworfen werden, damit der nicht zu heiß wird. Mithin wird weniger verbrannt und auch verdient. „Die Müllverbrenner wollen viel Durchsatz, die verdienen ihr Geld an der Waage“, sagt Marktexperte Hugo, weniger mit dem Strom oder der Fernwärme, die die Heizkraftwerke produzieren. Manche Anlage senkt den Heizwert wieder, indem sie dem Müll Klärschlamm beifügt. Aber damit verringert sich die Kapazität für normale Abfälle weiter.
Zuviel Müll für zu wenige Anlagen
Viele Ursachen, aber immer ein Ergebnis: Es gibt zu viel Müll, der verbrannt werden soll, für zu wenige Anlagen, die das können. Zumindest im Moment. Denn was die Zukunft bringt, ist ungewiss: Sollte sich die Konjunktur abkühlen, könnte das die Lage wieder entspannen. „Keiner weiß, wie die Situation in zwei, drei Jahren ist“, sagt Maier. „Jeder stochert derzeit mit der Stange im Nebel.“ Das aber erschwert auch Investitionen in die Anlagen. „Ich kann einen Kommunalpolitiker gut verstehen, der sagt: Warum soll ich einen Euro investieren in eine Anlage, die Abfälle beseitigt, für die ich nicht zuständig bin, und wo ich nicht weiß, ob sich das rechnet“, sagt Maier. Von Neubauten ganz zu schweigen: Einen solchen Plan zu verfolgen, vor betroffenen Anwohnern zu vertreten und in einem jahrelangen Genehmigungsverfahren durchzuhalten – das, sagt Maier, „kann man nur machen, wenn man nicht mehr gewählt werden will“. Dabei sind die bayerischen Müllverbrennungsanlagen generell ziemlich in die Jahre gekommen, mithin auch störanfällig, was wiederum längere Ausfall- und Revisionszeiten zur Folge hat.
Und das führt nun zum speziellen Müll-Sommerloch, das in Bayern derzeit zu beobachten ist. Alle zwölf bis 15 Monate muss ein Ofen für einige Wochen zur Revision abgeschaltet werden. Die Betreiber machen das mit Vorliebe im Sommer. Denn da braucht niemand die produzierte Fernwärme. Zwar stimmen sich die Anlagen untereinander ab, sie helfen sich gegenseitig aus und nehmen sich im Rahmen eines bayernweiten „Ausfallverbunds“ den Hausmüll ab. Aber generell sind im Sommer die Verbrennungskapazitäten geringer – sie fehlen für den Gewerbeabfall.
Gleichzeitig können die Anlagen, die laufen, weniger Abfall verbrennen. Denn dessen Heizwert ist auch wetterbedingt höher. Das organische Material, das in den Restmülltonnen landet, ist trockener; wird Müll auf einem Umschlagplatz zwischengelagert, verdunstet in der Sonne Wasser, was ebenfalls den Heizwert steigen lässt. Ein Problem in jedem Sommer. Besonders schlimm waren diese Effekte im extrem heißen Sommer 2018. Damals mussten die Müllverbrennungsanlagen laut Euwid viel Müll zwischenlagern und hegten die Hoffnung, die Halden in einem langen, harten Winter abtragen zu können, wenn zum Beispiel weniger gebaut und produziert wird. Der aber blieb aus, die Bunker der Verbrennungsanlagen blieben voll, die Zwischenlager auch. Bis jetzt – das macht die Lage im Sommer 2019 doppelt schwierig.
Zumal da im Würzburger Müllheizkraftwerk gerade eine der drei Ofenlinien für längere Zeit ausfällt: Seit Anfang Juni wird sie komplett erneuert. Damit aber fehlt in Bayern eine Jahreskapazität von etwa 60 000 Tonnen – was die anderen Anlagen zusätzlich auffangen müssen. Bis Ende 2020 soll das noch dauern. Und womöglich wird im Anschluss dann noch ein weiterer Würzburger Ofen erneuert.
„Alle Anlagen, nicht nur in Bayern, arbeiten auf Volllast“, sagt ihr Sprecher Maier. „Aktuell ist alles auf Kante genäht“, sagt auch der Euwid-Marktexperte Hugo. „Wenn jetzt eine Anlage längere Zeit ausfällt, würde man das bundesweit spüren, weil sich das wellenartig in der ganzen Republik ausbreitet.“
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 09.08.2019