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Pressenachricht 19.09.2019: Brenzlige Situation in der Abfallwirtschaft

Brenzlige Situation in der Abfallwirtschaft

In den deutschen Müllverbrennungsöfen landet zu viel Abfall, der eigentlich recycelt oder kompostiert werden sollte. Dadurch sind die Verbrennungskapazitäten erschöpft.

Die Zahlen sind alarmierend: Um 60 Prozent hat die Firma Scholz Recycling aus dem baden-württembergischen Esslingen die Recyclingkapazitäten ihrer Anlage am Standort Leipzig gedrosselt; auch der Wettbewerber TSR Recycling hat seine Kapazitäten heruntergefahren; in Brandenburg hat das Tochterunternehmen des Entsorgungskonzerns Remondis die Mengen der Altfahrzeugkarossen, die es zu Recyclingrohstoffen aufbereitet, um bis zu 70 Prozent reduziert.

Die Schrottrecycler Scholz und TSR leiden unter anderem unter den schlecht sortierten Abfällen in den Restmülltonnen. Wieso das? Zu viel Abfall landet in den Öfen, der eigentlich recycelt oder kompostiert werden müsste. Das verstopft die Anlagen. Etwa 26 Millionen Tonnen jährlich können die Müllverbrennungsanlagen, Zement- oder Kohlekraftwerke laut einer aktuellen Studie des Nabu in Deutschland aufnehmen.

„Die Anlagen unserer Mitglieder sind derzeit quasi zu 100 Prozent ausgelastet“, sagt Carsten Spohn, Geschäftsführer des Branchenverbandes Itad – der Interessengemeinschaft der thermischen Abfallbehandler in Deutschland. Gesichert sei die Entsorgung der Restmülltonne sowie der Gewerbemüll zur Beseitigung, sagt Spohn, weil hier Kapazitäten vorgehalten werden.

Doch wer etwa Agrarfolien, Sortierrückstände aus dem Gelben Sack oder Kunststoffe aus dem Elektroschrott-Recycling an Verbrennungsanlagen abgeben will, „wird vielfach auf Annahmebeschränkungen stoßen“, so Spohn. Wird die Entsorgung zu teuer oder der Lagerplatz zu knapp, wird weniger verarbeitet – siehe Scholz und TSR.

„Der Handel funktioniert nicht mehr“, sagt Holger Alwast, Experte für Abfallwirtschaft. „Vielleicht hat er nie funktioniert, und wir haben es nur nicht gemerkt.“ Seit China und viele weitere ostasiatische Länder ihre Märkte für unsortierte Abfälle geschlossen haben, bleiben diese in Europa. Großbritannien exportiert große Mengen Abfall auf den Kontinent; die Niederlande wissen nicht mehr, wohin mit ihrem Müll, vor allem, seitdem eine große Verbrennungsanlage in Amsterdam ausgefallen ist. Nun erwägt das Land einen Importstopp. Und auch in Deutschland gibt es die Forderung, weniger Abfall ins Land zu lassen.

Über Importbeschränkungen müsse man zumindest nachdenken, heißt es aus dem Recycling-Verband bvse in Bonn. Das könne den Markt immerhin kurzfristig entlasten. Hauptproblem sei aber die Restmülltonne. Für ihren Inhalt sind die Müllverbrennungsanlagen da, doch sie würden „immer noch durch große Mengen Bioabfälle blockiert“, kritisiert bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock. Es könne nicht angehen, dass Kapazitätsengpässe, Überlagerung und hohe Preise aufgrund mangelnder Befolgung der Gesetze durch die öffentliche Hand die gewerbliche Wirtschaft und die Entsorgungsbranche belasten. Im Klartext: Weil die Kommunen nicht dafür sorgen, dass Bioabfall in Kompostieranlagen landet, zahlen die Unternehmen drauf. Tatsächlich twitterte der Abfallwirtschaftsbetrieb München kürzlich, in seinen Restmülltonnen fänden sich noch rund 40 Prozent organischen Abfalls, und verzierten die Nachricht mit einem schmerzgeplagten Gesicht.

„Wir müssen jetzt lernen, mit unserem Müll hierzulande fertig zu werden“, sagt Günter Dehoust vom Öko-Institut. Für den Umweltverband Nabu hat er, zusammen mit Alwast, die Nabu-Studie zur Müllverbrennung in Deutschland verfasst. Ergebnis im Kern: Auch wenn die Anlagen derzeit voll sind, gibt es mittel- bis langfristig die Möglichkeit, Kapazitäten zu senken. Dies solle berücksichtigt werden, bevor neue Anlagen gebaut oder alte modernisiert werden. Dafür sei es notwendig, an vielen Stellschrauben zu drehen, um Abfall zu vermeiden; so müsse etwa Sperrmüll getrennt erfasst werden, Importe vermieden und Abfall konsequent recycelt werden, sagt Michael Jedelhauser vom Nabu. Dafür sei eine Rezyklateinsatz-Quote wichtig. Also alle Kraft voraus hin zur Kreislaufwirtschaft. So sieht es derzeit aber nicht aus: Laut Umweltbundesamt wurden 2017 so wenig Getränke in Mehrwegflaschen verkauft wie nie zuvor.

 

Quelle: TAZ vom 19.09.2019